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Christentum von rechts: Theologische Erkundungen und Kritik

Die Auseinandersetzung mit dem „Christentum von rechts“ hat durch den gleichnamigen Band, in dem sich Beiträge von Johann Hinrich Claussen, Martin Fritz, Andreas Kubik, Rochus Leonhardt und Arnulf von Scheliha versammeln, eine durchdachte und sinnvolle Perspektiverweiterung erfahren Nachdem in der politik- und sozialwissenschaftlichen Analyse des Rechtspopulismus bzw. des Rechtsextremismus die religiösen Bezüge auf das Christentum nur randständig bearbeitet worden waren, ist in jüngerer Zeit durch verschiedene Publikationen auf christliche Konnotationen, die im Bereich der Neuen Rechten zu erkennen sind, hingewiesen worden. Nicht nur der Rückgriff auf die so genannte konservative Revolution der Weimarer Zeit ist danach konstitutiv für die Neue Rechte. Auch christlich-theologische Argumentationsfiguren finden sich in zahlreichen Texten, die im Bereich der Neuen Rechten zu verorten sind. Den christlichen Bezügen innerhalb der politisch extremen Rechte geht nun vertiefend ein lesenswerter Sammelband nach, der jüngst bei Mohr Siebeck erschien.

In fünf unterschiedlichen Beiträgen, die jedoch gut aufeinander bezogen und ergänzend sind, wird nun die Neue Rechte, welche ein „Brücken-Milieu zwischen Konservativismus und Rechtsextremismus“ (S. 1) darstelle, aus theologischer Perspektive fokussiert. Die Analysen führen in ein Feld, das mit Blick auf das Erstarken eines gesellschaftlichen Rechtspopulismus sowohl für Theologie als auch für Kirchenleitungen eine immer wichtigere Rolle spielen wird. Ob das erklärte Ziel der Autoren, einen Beitrag zur „Entdämonisierung der Neuen Rechten“ (S. 4) zu leisten, mit Blick auf das Demokratie und gesellschaftlichen Pluralismus untergrabende Ziel der politisch extremen Rechten, als angebracht erscheint, darf jedoch in Frage gestellt werden.
Martin Fritz, wissenschaftlicher Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) in Berlin, arbeitet luzide in seinem Beitrag fünf erkennbare Grundprinzipien eines rechten Christentums heraus. Als Grundlage seiner gut nachvollziehbaren Analyse greift er auf zwei Bände, die im österreichischen Ares-Verlag erschienen sind, zurück. In diesen wird aus einer dezidiert neu-rechten Perspektive der Anschluss an das Christentum gesucht (Felix Dirsch u.a., Rechtes Christentum? Graz 2018 und ders., Nation, Europa, Christenheit, Graz 2019). Als Grundprinzipien der christlichen Rechten sieht nun Fritz fünf Argumentationsfiguren: Innerhalb der Neuen Rechte werde erstens ein Christentum vertreten, das sich der Bewahrung bzw. der Restitution einer göttlichen Ordnung verschrieben habe. Es werde auf die göttliche Schöpfungsordnung verwiesen, um „geschichtsinvariante, unantastbare Lebensordnungen“ (S. 28) zu begründen, wie sie in heterosexueller Ehe und Familie zum Ausdruck kämen. Als zweites Charakteristikum, das sich im rechten Christentum finde, sei die Interpretation des Gebotes zur Nächstenliebe als eine rein „individualethische Orientierung“ (S. 32, Hervorhebung im Original) zu begreifen. Bisweilen werde in der Neuen Rechte hierfür auf Max Weber zurückgegriffen, um gegen eine verhasste Gesinnungsethik der institutionalisierten Kirchen zu polemisieren. Nächstenliebe zeige sich für das rechte Christentum nur in einem sozialen Nahbereich, nicht in grenz- oder kulturüberschreitenden Zusammenhängen. Die Schöpfungsordnung werde nun (in einem dritten Merkmal) jedoch auch auf kulturelle und nationale Grenzlinien und Beheimatung bezogen. Gegen den Globalismus angeblicher Eliten poche das rechte Christentum auf homogene Kultur- und Nationalräume: „Heimat und Christentum“ (S. 36) würden in Texten der neuen Rechte eine Symbiose eingehen. Als viertes Muster sieht Fritz die Abwehr von allen Formen des interreligiösen und interkulturellen Dialogs: Dahingegen werde in einem „polemogenen Charakter“ (S. 39) ein identitäres Christentum und dessen Abgrenzung von aller konstruierter kultureller Fremdheit vertreten. Hierfür spiele auch das Konzept des christlichen Abendlandes eine zentrale Rolle. Abschließend arbeitet Fritz nun die antimoderne Haltung eines rechten Christentums heraus, wenn er auf die Abwehr gegen allen aufklärerischen Skeptizismus abhebt. Es werde im Modus eines „Neoobjektivismus“ zu einer „Restauration und Revitalisierung des Christentums“ (S. 47) angesetzt. Nach der strukturierenden Analyse der christlichen Rechten setzt nun Fritz an, die Unterschiede zwischen konservativ und rechts herauszuarbeiten. Er kommt zunächst zu einem überraschenden Ergebnis: All das, was aktuell innerhalb eines rechten Christentums vertreten werde, sei eigentlich substantiell-inhaltlich nicht von einem „Normalkonservativismus“ (S. 54) zu unterscheiden. Die „mentale Grundeinstellung“ des rechten Christentums sei konservativ. Dieser befinde sich aber in einem „Kulturkampfmodus“ (ebd.). Die gesellschaftlichen Liberalisierungen seit den 1960er Jahren und eine angebliche Islamisierung der Gesellschaft seien die Feindbilder für ein rechtes Christentum, da dieses durch den gesellschaftlichen Wandel selbst „ins Hintertreffen geraten sei“ (ebd.). Der Kulturpessimismus knüpfe dabei stark an populistische Narrative an und lasse die eigentlich konservativen Positionen durch ihre „polemische Verve“ (S. 61) zum rechten Christentum werden und verändere diese konservative Grundhaltung nun substanziell.
So überzeugend die fünfteilige Systematisierung eines rechten Christentums ist, muss an dieser Stelle durchaus angefragt werden, ob die enge Bindung des rechten Christentums an konservative christliche Positionen so alle Formen des rechten Christentums zu beschreiben in der Lage ist. Gibt es neben zahlreichen inhaltlichen Überschneidungsmomenten und diffusen Übergängen von konservativ nach rechts nicht doch auch Aspekte, in denen Themen der extremen Rechten sich vollkommen vom Konservativen losgelöst haben? Ob beispielsweise ein theologisch-konservatives Christentum zur Legitimation des gewaltaffinen Ethnopluralismus bzw. Ethnonationalismus mit dem Ziel der strikten Trennung von Kulturräumen, wie er in der Neuen Rechte zentraler Topos ist und ebenfalls biblisch-theologisch erklärt wird, bereitsteht und dort auch so vertreten wurde? Hier gilt es klar zu differenzieren.
Neben dem Beitrag von Martin Fritz zeigen die weiteren Artikel exemplarisch, wie notwendig die vertiefte theologische Auseinandersetzung mit der Neuen Rechten ist. Das lässt sich am Beispiel von Liturgik und Homiletik anhand der eingehenden Analyse einer „Mahnwache“ der Neuen Rechten, die anlässlich des Terroranschlags auf dem Breitscheidplatz in Berlin 2016 durchgeführt wurde, zeigen. Der praktische Theologe Andreas Kubik begreift die dort gehaltene Rede als eine politische Predigt, deren Semantik aus dem Bereich von „Vor-Bürgerkriegssituationen“ (S. 81) entstamme. Die Predigt sei darüber hinaus geprägt von Luthers Zwei-Reiche-Lehre, mit der der nun vorgebrachte Widerstand gegen den Staat legitimiert werde. Die historische und ideengeschichtliche Informiertheit für die kritische Untersuchung des rechten Christentums zeigt wiederum der Kulturbeauftragte der EKD, Johann Hinrich Claussen, auf: In seiner bereits an anderen Stellen (dort etwas kürzeren) veröffentlichten Bearbeitung der Ideenpolitik von Karlheinz Weißmann zeigt er dessen Verwurzelung im „Milieu theologischer Modernisierungsverlierer“ (S. 92) auf. Feindbilder für diese seien nicht nur der Liberalismus, sondern auch die gesellschaftlich präsente Auseinandersetzung und Erinnerung an die Shoa. Arnulf von Scheliha geht in seinem Beitrag auf Grundlage von Artikeln in der Monatszeitschrift Sezession der „neu-rechten Affirmation der Volksidee“ nach und stellt diese in ein Verhältnis zum „theologischen Verständnis des Volkes aus der Weimarer Zeit“ (S. 114). Hintergrund für diese Analyse ist der positive Bezug der Neuen Rechten nicht nur zur konservativen Revolution, sondern eben auch auf einzelne nationalkonservative Theologen der Weimarer- bzw. NS-Zeit (Paul Althaus, Hans Asmussen, Emanuel Hirsch u.a.). In einem abschließenden Beitrag geht wiederum der systematische Theologe Rochus Leonhardt auf das Erstarken der AfD in der Bundesrepublik ein und liefert drei Thesen zum Umgang mit ihr in einer liberalen Demokratie. Weder Stigmatisierung noch der moralische Paternalismus gegen den Rechtspopulismus sollten die christlich-theologisch reflektierte politische Strategie leiten, sondern die Integration durch die Mitgestaltung einer „partizipativen Demokratie“ (S. 186). Es könne, auch durch den theologisch vermittelten Hinweis auf das Vorletzte von politischen Einstellungen sowie die „Differenz zwischen Person und Werk“, die politische „Debattentemperatur“ (S. 188) merklich abgekühlt werden. Leonhardt endet pointiert und greift die entdämonisierende Intention des Bandes auf: Nicht der Rechtspopulismus, sondern der „Freund-Feind-Dualismus“ sei die „eigentliche Gefahr für die freiheitlich-demokratische Rechtsordnung“ (S. 189, Hervorhebung im Original). Eine Analyse, die es mit Sicherheit auch im Bereich der Theologie weiter zu diskutieren gilt. Hierfür bietet „Christentum von rechts“ einen gelungenen wie diskussionswürdigen Ausgangspunkt.


Das renzensierte Buch:
Johann Hinrich Claussen / Martin Fritz / Andreas Kubik / Arnulf von Scheliha / Rochus Leonhardt: Christentum von rechts. Theologische Erkundungen und Kritik

Dr. Hans-Ulrich Probst
arbeitet seit 2021 als wissenschaftlicher Assistent im Fachbereich Praktische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Er hat in Berlin, Jerusalem und Tübingen Evangelische Theologie und Judaistik studiert.
hans-ulrich.probst@uni-tuebingen.de